6. Oktober 2022

Schriftliche Anfrage 19/11779: Einschränkungen und Übergriffe auf Pressevertreter*innen in Berlin

Vom 05. Mai 2022 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Mai 2022)

Antwort vom 24. Mai 2022 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Mai 2022)

Link: https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-11779.pdf


Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 19/11779 vom 05. Mai 2022 über

Einschränkungen und Übergriffe auf Pressevertreter*innen in Berlin

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Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:


  1. Wie viele und welche Art von Übergriffen auf Pressevertreter*innen und Medienschaffende (im Rahmen ihrer Pressetätigkeit) hat es in den letzten fünf Jahren in Berlin gegeben?

Zu 1.:

Grundlage für die Beantwortung der Anfrage bildet der „Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK). Dabei handelt es sich, anders als bei der „Polizeilichen Kriminalstatistik“ (PKS), um eine Eingangsstatistik, das bedeutet, der Fall wird sofort gezählt, wenn er bekannt wurde und nicht erst nach Abschluss der Ermittlungen. Die Fallzählung erfolgt tatzeitbezogen, unabhängig davon, wann das Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde. Die folgenden statistischen Angaben stellen keine Einzelstraftaten der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) dar. Bei der Darstellung handelt es sich um Fallzahlen.

Ein Fall bezeichnet jeweils einen Lebenssachverhalt in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit identischer oder ähnlicher Motivlage, unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen, Tathandlungen, Anzahl der verletzten Rechtsnormen oder der eingeleiteten Ermittlungsverfahren.

Die Fälle der PMK unterliegen bis zum Abschluss der Ermittlungen – gegebenenfalls bis zum rechtskräftigen Gerichtsurteil – einer fortlaufenden Bewertung gemäß der angenommenen Tatmotivation. Neuere Erkenntnisse können demgemäß zu einer Aktualisierung oder zu Änderungen führen. Darüber hinaus können Fälle der PMK auch erst nach dem Statistikschluss bekannt und entsprechend gezählt werden. Deshalb kommt es sowohl unter- als auch überjährig immer wieder zu Fallzahlenänderungen.

Es werden nur die Fälle gezählt, die gemäß den bundesweit verbindlichen Verfahrensregeln zur Erhebung von Fallzahlen im Rahmen des KPMD-PMK für Berlin statistisch zu zählen sind. Liegt der Tatort in einem anderen Bundesland, wird der Fall dort statistisch gezählt.

Zur Beantwortung der Anfrage wurden die Daten aus dem Zeitraum Januar bis Dezember der Jahre 2017 bis 2021 sowie Januar bis April 2022 zugrunde gelegt, bei denen als Unterthema der Wert „Medien“ vergeben und mindestens ein Opfer registriert wurde. Opfer werden als natürliche Personen definiert, die durch eine strafbare Handlung körperlich geschädigt wurden oder körperlich geschädigt werden sollten. Personen, die durch eine Straftat auf andere Weise (z. B. materiell) geschädigt wurden (Geschädigte), werden statistisch nicht gezählt. Dabei muss es sich bei dem Opfer nicht zwangsläufig um Pressevertretende handeln, da alle Motivationen eines Falls abgebildet werden.

Die erfragten Daten sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen:

Zähldelikt Anzahl Jahr
§ 224 StGB – Gefährliche Körperverletzung12018
Summe 2018 1
§ 223 StGB – Körperverletzung22019
§ 224 StGB12019
Summe 2019 3
§ 224 StGB52020
§ 125a StGB – Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs22020
§ 223 StGB32020
§ 126 StGB – Störung des öffentlichen Friedens durch
Androhung von Straftaten
12020
Summe 2020 11
§ 224 StGB42021
§ 223 StGB42021
§ 241 StGB – Bedrohung12021
§ 126 StGB12021
§ 252 StGB – Räuberischer Diebstahl12021
§ 185 StGB – Beleidigung12021
§ 240 StGB – Nötigung12021
§ 187 StGB – Verleumdung12021
§ 125a StGB12021
Summe 2021 15
§ 223 StGB22022
§ 224 StGB22022
Summe 2022 4

Quelle: KPMD-PMK, Stand: 9. Mai 2022

Für das Jahr 2017 wurde kein Fall bekannt.


  1. Inwiefern ist ein Ansteigen der Vorfälle zu beobachten und wie erklärt sich der Senat die Entwicklung?

Zu 2.:

Die Entwicklung der Zahlen ist der Antwort zu Frage 1 zu entnehmen. Zum Teil ist der Anstieg des Fallaufkommens in den Jahren 2020 und 2021 in der deutlich gestiegenen Anzahl an Versammlungen im Zusammenhang mit der COVID 19 Pandemie begründet. Im Jahr 2020 kam es zu fünf, 2021 zu sechs und im laufenden Jahr 2022 zu bislang zwei Fällen in diesem Themenzusammenhang. Weitere Ursachen sind dem Senat nicht bekannt.


  1. In wie vielen der erfassten Fälle konnten die Täter*innen ermittelt und Strafverfahren eingeleitet werden, und in wie vielen dieser Fälle kam es zu einer Verurteilung?

Zu 3.:

Im Jahr 2017 wurde kein Fallaufkommen registriert. Im Jahr 2018 wurden zu keinem Fall Tatverdächtige bekannt. 2019 konnten zu einem Fall, im Jahr 2020 zu drei Fällen und im Jahr 2021 zu vier Fällen Tatverdächtige bekannt gemacht werden. Bisher kam es zu einer Verurteilung, wobei noch nicht alle Ermittlungsverfahren abgeschlossen sind.


  1. Inwiefern lässt sich abschätzen, wie groß das Dunkelfeld bei den Angriffen und Vorfällen gegen Pressevertreter*innen ist?

Zu 4.:

Hierzu kann durch den Senat keine valide Aussage getroffen werden.


  1. Inwiefern wurde die Entwicklung der Fallzahlen in den letzten Jahren nach Einschätzung der Senats von gesellschaftlichen Umständen beeinflusst, wie schätzt der Senat die künftige Entwicklung ein und welche Maßnahmen sind geplant, um eine Verschlechterung der Lage zu verhindern?

Zu 5.:

Teilweise ist eine Steigerung der Fallzahlen auf das erhöhte Versammlungsgeschehen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und die damit einhergehende Berichterstattung zurückzuführen. Die Polizei Berlin prüft die konkrete Gefährdungslage, analysiert und bewertet dabei alle vorliegenden Informationen. Daran orientiert werden anlassbezogen die erforderlichen polizeilichen Maßnahmen zum Schutz von Medienvertretenden getroffen.

Über eine künftige Entwicklung kann keine valide Aussage getroffen werden.


  1. Was sehen die Richtlinien für das Verhalten der Polizei und Ordnungskräfte bei Demonstrationen und Versammlungen gegenüber Pressevertreter*innen vor, insbesondere wenn Übergriffen drohen oder stattfinden?

Zu 6.:

Die aktuell unter Leitung der Polizei Berlin in der Novellierung befindlichen „Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“, beschlossen von der Innenministerkonferenz am 26. November 1993 und vom Deutschen Presserat, Verleger-, Zeitungs- und Zeitschriftenverbänden, ARD, ZDF, dem Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation und den journalistischen Berufsverbänden, besagen hierzu u. a. in Punkt 10:

„Die Polizei unterstützt bei ihren Einsätzen, auch bei Geiselnahmen und Demonstrationen, die Medien bei ihrer Informationsgewinnung. Andererseits sollen Medienvertreter polizeiliche Einsätze nicht behindern. Auch für sie gelten die polizeilichen Verfügungen, wie z. B. Absperrmaßnahmen und Räumaufforderungen, es sei denn, dass Ausnahmen zugelassen werden. [sic!]“

Eine Regelung zum Schutz von Pressevertreterinnen und -vertretern (im Weiteren „Medien“) ist in der noch gültigen Version von 1993 nicht enthalten, wurde jedoch im Zuge der Novellierung formuliert.

Darüber hinaus finden sich Regelungen zum kooperativen Miteinander – unter Wahrung der unterschiedlichen Funktionen und Rollen in einem Rechtsstaat – in den aktuell ebenfalls in der Novellierung befindlichen „Leitlinien der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Berlin“, unterschiedlichen internen Handreichungen zur Pressearbeit am Einsatzort sowie in den schriftlichen Unterlagen (Befehlen) zu Einsätzen. Letztgenannten ist standardgemäß mindestens eine Aussage zur Unterstützung der freien Berichterstattung, soweit es der jeweilige Auftrag und die Einsatzlage zulassen, zu entnehmen.

Über das kooperative Miteinander hinaus hat sich die Polizei Berlin auch mit Schutzmaßnahmen für Medien auseinandergesetzt. Die Entwicklungen der vergangenen zweieinhalb Jahre haben dies erforderlich gemacht. Die Polizei Berlin hat sie daher in die Einsatzkonzepte aufgenommen. Die Maßnahmen reichen von der Sensibilisierung und dem Schutzauftrag jeder Einsatzkraft über Medienschutzbereiche bis hin zu Medienschutzteams.

Im Fall eines festgestellten rechtswidrigen (gegenwärtigen) Angriffs schreitet die Polizei unverzüglich und konsequent ein. Wird ein Bedrängen oder ähnliches festgestellt, das noch nicht strafrechtlich bewehrt, aber geeignet ist, die freie Berichterstattung zu behindern, trifft die Polizei gefahrenabwehrende Maßnahmen grundsätzlich gegen die störende Person.


  1. Inwiefern gab es Fälle, bei denen das Verhalten der Polizei und Ordnungskräfte zu einer Behinderung oder gar Unterbindung der Pressearbeit führte und gab es hierzu im Nachhinein Ermittlungen oder eine Aufarbeitung der Fälle?

Zu 7.:

Eine statistische Erfassung im Sinne der Fragestellung erfolgt durch die Polizei Berlin nicht. Im Zusammenhang mit konfligierenden (Grund-)Rechtspositionen trifft die Polizei Berlin gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag regelmäßig Entscheidungen und Weisungen, die widerstreitende Rechtsgüter gegeneinander abgrenzen und in Ausgleich bringen. Im Zuge dessen kann es zu Gunsten eines anderen Rechtsguts – z. B. Opferschutz bei Kindern – auch dazu kommen, dass die Pressearbeit beschränkt werden muss.


  1. Welche Maßnahmen (Prävention, Aufklärung, Fortbildungen, Kampagnen etc.) werden ergriffen, um die Pressefreiheit in Berlin zu stärken und zu schützen, wie schätzt der Senat die bisherige Arbeit hierzu ein und wo wird Verbesserungsbedarf gesehen?

Zu 8.:

Grundsätzlich handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die viele unterschiedliche Komponenten zusammenkommen müssen – von Aufklärung und Bildung bis letztlich hin zum unmittelbaren Schutz.

In der Polizei Berlin werden z.B. unterschiedliche Maßnahmen im Sinne der Fragestellung ergriffen. Hierunter fallen:

  • thematische Befassung in Aus- und Fortbildung sowie Studium,
  • Beschulungen von Führungskräften,
  • Beschulungen ausgewählter Dienstbereiche,
  • gezielte Handreichungen zur Pressearbeit am Einsatzort,
  • explizite Leitlinien und Aufträge zum kooperativen Miteinander in Einsatzunterlagen und -besprechungen,
  • Übernahme der Leitung der (bundesweiten) Arbeitsgruppe zur Novellierung der Verhaltensgrundsätze Presse/Rundfunk und Polizei und Ausrichtung dieser auf ein rechtsstaatliches, kooperatives Miteinander sowie Verankerung von Schutzmaßnahmen in der Neufassung,
  • abgestufte Schutzmaßnahmen – von der Sensibilisierung und dem Schutzauftrag jeder Einsatzkraft über Medienschutzbereiche bis hin zu Medienschutzteams
  • Ansprechbarkeit der Pressestelle bzw. des Pressesprechers bspw. in Konfliktsituationen (24/7).

Trotz der grundsätzlichen, positiven Rückmeldungen aus dem medialen Raum wird fortwährend ein etwaiger Optimierungsbedarf geprüft.


  1. Wie positioniert sich der Senat speziell in Bezug auf Berlin zu den Kritikpunkten von Reporter ohne Grenzen, dass neben vermehrten Übergriffen im Rahmen von Kundgebungen auch das Verhalten der Polizei, die sinkende Medienvielfalt und „eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet“ für die Verschlechterung der Pressefreiheit verantwortlich sind?

Zu 9.:

Der Senat von Berlin begrüßt eine vielfältige Medienlandschaft als festen Bestandteil unserer Demokratie.

Die Polizei Berlin evaluiert fortwährend ihre Maßnahmen, um dem hohen Stellenwert der Pressefreiheit – in Einklang mit anderen berührten Grundrechten – gerecht zu werden. Gerade vor dem Hintergrund der signifikant höheren Einsatz- und Versammlungslage im Vergleich zu anderen Städten liegt ein besonderes Augenmerk auf den Maßnahmen der Polizei Berlin. Liegen Verdachtsmomente einer Straftat oder eines disziplinarwürdigen Verhaltens durch Polizeidienstkräfte vor, wird dem konsequent nachgegangen.

Schon aus ihrem Selbstverständnis als rechtsstaatliche Polizei heraus unternimmt die Polizei Berlin alles, um auch dem Rechtsanspruch aus Artikel 5 Grundgesetz gerecht zu werden. Auch die Reflexion durch Medien und journalistische Verbände fällt hierunter. Die Kritik wird im überwiegenden Teil als konstruktiv angesehen. Lässt sich Optimierungspotenzial feststellen, werden umgehend die erforderlichen Maßnahmen ergriffen – zuletzt im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen für Pressevertretende.


Berlin, den 24. Mai 2022

In Vertretung

Torsten Akmann

Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport